Handball im NTSV Strand 08
Zu Zeiten der Niendorfer Turnerschaft ist Handball verpönt, nicht erwünscht. Und auch die Turnabteilung, die 1947 deren Geschäfte übernimmt, tut sich damit schwer. In Timmendorfer Strand, bei den TSV-Verantwortlichen, ist man da etwas offener. Als sich einige handballbegeisterte Jugendliche aus dem Bugenhagen-Internat melden und Handball spielen wollen, ist man sofort einverstanden. Die jungen Leute zwischen 17 und 21 sind Schüler am neu eingerichteten Ostseegymnasium, wohnen im evangelischen Bugenhagen-Internat und kommen aus Flüchtlingsfamilien. In kurzer Zeit gelingt es ihnen, eine Mannschaft aufzustellen. Nicht alle Spieler sind Internat-Schüler, aber doch die Kerntruppe. Gespielt wird auf dem Fußballplatz am Wasserwerk. Denn damals wird nur Feldhandball gespielt. Mit 11 Spielern pro Mannschaft, wie eben beim Fußball. Weil kein Trainer zur Verfügung steht, müssen sich die jungen Spieler alles selbst beibringen: Regelkenntnis, Spieltechnik, Taktik, Kondition. Letztlich ist die Spielpraxis entscheidend. Und noch im selben Jahr startet die Mannschaft in der Kreisklasse.
Für einheitliche Vereinstrikots ist in der Anfangszeit kein Geld da. Zu den Spielen erscheint die Mannschaft mit buntgemischten Unterhemden. „Wir hatten keine Trikots, aber viel Engage-ment“, sagt Rudi Loock, einer der Spieler von damals und gleichzeitig ein erfolgreicher Leichtathlet, „außer dem Sport hatten wir ja nichts“. Gleich in ihrer ersten Saison erreichen die Neu-Handballer den Aufstieg in die Bezirksliga – und das alles ohne Trainer.
Nach dem erfolgreichen Start der Männermannschaft wird im gleichen Jahr noch eine Jungmädchen-Handballmannschaft gebildet. Sie besteht vorwiegend aus Schülerinnen der Timmendorfer Volksschule. Von Handball haben die Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren keine Ahnung, kennen nur Korbball aus der Schule. Das Training übernimmt einer der Spieler der Männer-Mannschaft, Zielke, der auch später Spartenleiter wird. Christel Ballwanz geb. Schalow, eine der Timmendorfer Schülerinnen von damals, erinnert sich, dass sie beim Training sehr gefordert wurden, dass es aber trotzdem Spaß gemacht hat. Vor allem: die Mädchen verstehen sich untereinander gut, werden Freundinnen. Um ihre Spielkleidung müssen sie sich selbst kümmern. Wer kein Sporthemd hat, spielt im Unterhemd, in der Bluse oder im Pulli. Die ersten Freundschaftsspiele gehen, wie nicht anders zu erwarten, verloren. Aber das ändert sich mit der Zeit. Das Spiel über die ganze Länge und Breite der Fußballplätze verlangt viel Laufarbeit und endet oft mit aufgestoßenen Knien und blutenden Ellenbogen. Trotzdem sind die Mädchen Woche für Woche dabei, erst recht wenn es mit dem Lastwagen oder dem Holzkohle-Bus zu Auswärtsspielen in die nähere Umgebung geht.
Einige der Spielerinnen aus der Jungmädchen-Mannschaft verstärken die 1950 gebildete Damen-Handballmann-schaft. Nach dem Start in der Kreisklasse gelingt in der zweiten Saison der Aufstieg in die Bezirksliga.
Für die Männer-Mannschaft wird es zum Problem, dass es weder in Timmendorfer Strand noch in Niendorf eine Halle gibt. Im Winter kann also weder trainiert noch gespielt werden. Die Mannschaft weicht ab Herbst 1950 nach Lübeck aus, wo sie in verschiedenen Hallen trainieren und spielen kann. Gerade zu Anfang fällt der Umstieg vom Feld- zum Hallenhandball sehr schwer.
1952 geht die erste Handballära im NTSV zu Ende. Weil es in Timmendorfer Strand und der näheren Umgebung an Arbeitsplätzen fehlt, wandern notgedrungen viele Spieler und Spielerinnen ab. Hinzukommt, dass auch einige der Schüler des Bugenhagen-Internats nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Mannschaften werden zum Ende der Spielsaison vom Punktspielbetrieb abgemeldet.
Es vergehen 13 Jahre, bis der Handballsport beim NTSV wieder Einzug hält. Zu verdanken ist das Kurt Sommer, dem damaligen Leiter der Turnabteilung. Er gewinnt 1965 den Sportlehrer Peter Kneib, eine Handballsparte aufzubauen. In relativ kurzer Zeit gelingt es dem Sportpädagogen, der selbst aktiver Handballer und Leichtathlet gewesen ist, sechs Mannschaften aufzubauen: Jeweils zwei Jugend-, Damen- und Herrenmannschaften.
Bereits in ihrer ersten Saison 1965/66 werden alle Mannschaften, die unter dem Vereisnamen „Niendorfer Turnerschaft“ spielen, Kreismeister, im zweiten Jahr zwei Mannschaften Bezirksmeister. Weil die Spielfläche in der Timmendorfer Halle nicht die erforderliche Größe hat, müssen die Heimspiele in der Turnhalle in Ratekau ausgetragen werden.
Als Peter Kneib sich 1979 aus beruflichen Gründen zurückzieht, wird kein Nachfolger als Trainer bzw. Spartenleiter gefunden. Die Handballsparte wird aufgegeben.
Anfang der 90er Jahre folgt ein neuer Versuch, dem Handball im NTSV eine Heimat zu geben. Auf eigenen Wunsch wechselt die in der Kreisliga spielende 1. Herrenmannschaft von Scharbeutz zum NTSV Strand 08. Bald kann auch eine Frauenmannschaft aufgestellt werden. Weil die Timmendorfer Halle kein ausreichend großes Spielfeld hat, müssen auch die Heimspiele in der Halle des Gegners ausgetragen werden. In einer kleineren Halle trainieren und dann in einer größeren Halle die Spiele austragen zu müssen, das mindert die sportlichen Erfolgschancen. Und so werfen die Handballer und Handballerinnen nach einer Saison das Handtuch und lösen sich auf. Die Spieler und Spielerinnen wechseln zu anderen Vereinen in der Umgebung oder hören ganz mit ihrem Sport auf.
Der Neuanfang im Jahr 1998 hat bis heute Bestand. Er ist eng verbunden mit dem Namen des Ehepaares Marion und Holger Kretschmer. Sie haben nicht nur den Handball im NTSV Strand 08 neu etabliert, sie haben ihm auch einen glänzenden Ruf über den Verein und die Region hinaus verschafft. Dies vor allem durch eine vorbildliche Kinder- und Jugendarbeit.
„Eigentlich müsstest Du das, was Du als Handballprofi gelernt und gelebt hast, weitergeben“. Der Satz fällt morgens am Frühstückstisch und lässt Holger Kretschmer nicht mehr los. Der nächste Schritt sind Gespräche mit dem Vereinsvorsitzenden Peter Danzeglocke und dem Bürgermeister Volker Popp, die spontan ihre Unterstützung zusagen. Es folgt ein Zettel im Kindergarten, und zum ersten Trainingstag im November 1998 erscheinen 30 Kinder zwischen 3 und 5 Jahren mit ihren Eltern.
Das gehört von Anfang an zum sportlich-pädagogischen Konzept der beiden Kretschmers: Einbeziehung der Eltern. Ohne die Eltern, sagen sie auch heute noch, wäre die Arbeit der letzten Jahre nicht möglich gewesen.
Das Konzept, mit dem die Kretschmers vor 10 Jahren angetreten sind, ist im Laufe der Jahre stetig verfeinert worden, aber der Grundansatz ist geblieben: Ein ganzheitliches Konzept, in dem Sporttraining, Charakterbildung und soziales Lernen eng miteinander verzahnt sind. Sie verlangen Leistung im Training und im Spiel, dass jeder das ihm sportlich Mögliche realisiert. Sie erwarten und verlangen aber auch Leistungen im menschlichen Miteinander: Teamgeist, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, Höflichkeit. Kein böses Wort auf dem Spielfeld, weder im Training noch im Spiel, ist eine ihrer Devisen.
Zum sportpädagogischen Angebot gehören auch gemeinsame Ferienfreizeiten. So etwa Reisen nach Schweden und Skifreizeiten in Österreich.
Bei allem Vergnügen im Schnee achten die Trainer streng darauf, dass die Jungen und Mädchen beim Ski- und Snowboardfahren jedes Verletzungsrisiko vermei-den. Neben den persönlichen Folgen für den oder die Betroffenen würde das ja auch die Trainingsarbeit zu Hause beeinträchtigen.
Die Kretschmers verstehen sich ausdrücklich als Trainerduo, so dass sie sich notfalls auch gegenseitig vertreten können. Dabei setzt jeder jedoch eigene Schwerpunkte: Marion Kretschmer ist für den Breitensport zuständig, Holger Kretschmer für den Leistungssport. Der NTSV Strand 08 bietet ihm eine Plattform, die ihm ein Leistungstraining für den Handball-Nachwuchs auch über Vereinsgrenzen hinaus ermöglicht. Dazu gehört viermaliges Training in der Woche, dazu gehört die Zusammenarbeit mit einem inspirierten Trainerteam, einem Physiotherapeuten und einem Arzt. Nicht umsonst hat deshalb Timmendorfer Strand und der NTSV Strand 08 den Rang eines regionalen, ja sogar nationalen Leistungsstützpunkts erreicht. Dieser Qualitätssprung ist letztlich allerdings erst durch den Bau der Timmendorfer Sporthalle im Jahre 2003 möglich geworden, mit der endlich eine Halle mit Handball-Maßen zur Verfügung steht.
Während es ansonsten die Regel ist, dass die Väter oder auch die Mütter ihre Kinder für die Sportart interessieren, die sie selbst ausüben oder ausgeübt haben, ist es bei den Handballern im NTSV Strand 08 umgekehrt: Dort bringen die Kinder ihre Väter und Mütter dazu, sich für ihren Sport zu interessieren und zu engagieren. Die Kretschmers haben das unterstützt mit der Organisation von Eltern-Kind- bzw. Eltern-Turnieren. Inzwischen haben die Väter und die Mütter jeweils ihre eigenen Handball-Mannschaften, nehmen aktiv am Spielbetrieb um Punkte teil, ohne jedoch dabei den Spaßfaktor außer acht zu lassen.
Handball im NTSV 2007/08
Wie schon in der Anfangszeit vor 10 Jahren beginnt die Trainingsarbeit im frühen Alter von 4 bis 6 Jahren, bei den sogenannten Mini-Minis. Das Training ist hier natürlich in erster Linie Spiel: Gewöhnung an den Umgang mit Bällen, Bewegungs- und Koordinationsübungen und immer wieder Spiele, Spiele, Spiele …
Ein besonderes Highlight in der noch jungen Geschichte der Handballabteilung und eine Anerkennung für deren herausragende Nachwuchsarbeit ist das 4-Länder-Hallenhandballturnier für A-Jugendliche in Timmendorfer Strand 2008, mit dem zugleich das Jubiläumsjahr des NTSV Strand 08 eröffnet wird. Die Mannschaften aus Sachsen, Niedersachsen, Hessen und Schleswig-Holstein liefern sich packende Kämpfe vor vollbesetzten Zuschauerrängen. Am Ende ist die Mannschaft aus Hessen ein äußerst glücklicher Gewinner vor der Schleswig-Holstein-Auswahl und qualifiziert sich damit für die Endrunde um den Länderpokal. NTSV-Spieler sind in der Schleswig-Holstein-Auswahl nicht dabei, da die Nachwuchsarbeit erst bis zur B-Jugend fortgeschritten ist. In einem Demonstrationsspiel können die B-Jugendmannschaften jedoch ihr Können zeigen.
Die Zuschauer waren überrascht und beeindruckt von der Kampfkraft und Spielstärke der Jugendlichen. Das Turnier-Wochenende war zweifellos eine gelungene Demonstration für den Hallenhandball.